Wer elektrische Geräte im Internet einkauft, kennt das Phänomen: Im Zubehör des Produkts findet sich bisweilen ein bizarrer Stromstecker oder Adapter, mit dem der Kunde in Deutschland aber schon mal gar nichts anfangen kann. Denn in verschiedenen Ländern haben sich jeweils spezifische Standards herausgebildet, die Stromspannung ist nicht identisch, sondern variiert je nach Herstellungsort. Und auch die Stecker sind anders geformt, um Verwechslungen auszuschließen.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts begann die Elektrifizierung, und es entstanden die ersten nationalen Stromnetze. Zunächst dachte man vor allem an die Beleuchtung. Schon bald aber war der wohlhabende Teil der Bevölkerung besonders an den neu entwickelten Haushaltsgeräten interessiert. Die aber noch noch nicht mal einen eigenen Stecker besaßen, vielmehr durfte sie der Hausherr eigenhändig mit dem Stromnetz verkabeln. Praxistauglich war dieses Vorgehen nicht, vor allem entstand ein enormes Brand-Risiko durch unzureichende Sachkenntnis.
Hoher Energieverlust bei Gleichstrom
Der Grund für die unterschiedlichen Stecker sind die unterschiedlichen Stromnetze mit jeweils anderer Spannung und Frequenz. Hinzu kam die Konkurrenz der beiden unterschiedlichen Stromsysteme: Anfangs setzten die Techniker auf Gleichstrom statt auf Wechselstrom. Als nachteilig erwiesen sich jedoch bald die hohen Energieverluste des Gleichstroms. Folglich gestaltete sich die Übertragung über weitere Strecken als problematisch, denn der Spannungsabfall war mit zunehmender Entfernung einfach zu hoch. An die Elektrifizierung eines ganzen Landes war mit dieser Technologie nicht zu denken, und schon bald galt der Wechselstrom als die sinnvollere Technologie.
Die einzelnen Länder arbeiteten jedoch jeweils isoliert voneinander an der Elektrifizierung, und die Stromnetze wuchsen mit einer enormen Schnelligkeit. Die Verantwortlichen entschieden sich für eine Netzspannung, mit der die vorhandenen Komponenten optimal genutzt oder erweitert werden konnten. Von Standardisierung war in diesen Zeiten ohnehin noch keine Rede, mit Auswirkungen bis in unsere Tage. So gibt es in Japan sogar innerhalb des Landes immer noch zwei unterschiedliche Frequenzen, nämlich 50 Hertz in der östlichen Region und 60 Hertz im Westen.
Der Wechselstrom als Alternative
Wechselstrom ist im Vergleich mit Gleichstrom wesentlich stabiler. Eine beliebige Spannung kann problemlos aufwärts oder abwärts transformiert werden. Das ist auch der Grund, warum man heute weltweit die Netze mit Wechselstrom betreibt. Unter anderem die USA hatten zunächst auf Gleichstrom gesetzt, sich aber dann doch anders entschieden.
Der Wechselstrom hat – daher der Name – eine periodisch wechselnde Frequenz, ständig ändert der elektrische Strom seine Richtung. Als nach und nach die nationalen Stromnetze etabliert wurden, entschied sich die jeweilige Behörde praktisch willkürlich für eine Frequenz, die im Land herrschen sollte. Weil aber die Spannung von der Frequenz abhängt, entstanden auch unterschiedliche Stromspannungen.
Zeitmangel als Kriterium
Das maßgebliche Kriterium bei der Entscheidung war eine Lösung, die ein optimal ausgeweitetes Netz ermöglichte und außerdem die technischen Elemente nutzt, die bereits vorhanden waren. Keiner der Beteiligten verschwendete einen Gedanken auf die Normierung der Netze über Staatsgrenzen hinweg oder die Vereinheitlichung von Leitungen oder Steckdosen. Vor allem sahen sich die Entscheider durch das öffentliche Interesse einem enormen Zeitdruck ausgesetzt. Also galt es, die technischen Möglichkeiten effizient zu nutzen und in kurzer Zeit das Stromnetz landesweit einzurichten.
Zweifelhafte Geschäftsmethoden und Patente
Als Folge dieser regionalen Egoismen existierten Gleich- und Wechselstrom für lange Zeit nebeneinander. Sogar in den verschiedenen Regionen nutzte man unterschiedliche Stromnetze mit jeweils anderen Spannungen und Frequenzen. So wurde etwa in Frankfurt/Main die Gleichstromversorgung erst im Jahr 1959 durch den Wechselstrom ersetzt. Oft führte man unterschiedliche Systeme ein, um Konkurrenten vom Markt zu drängen. Aufgrund der Differenzen kam es oft zu Komplikationen, wenn Elektrogeräte angeboten oder angeschafft werden sollten. Industrie und Handel waren deshalb schon sehr früh an einer Lösung der Konflikte interessiert.Den Missstand wurde durch sogenannte Allstromgeräte nur teilweise behoben. Der erste Röhrenempfänger, in den 1920er und den 1930er Jahren produziert, konnte mit beiden Stromarten betrieben werden. Auch urheberrechtliche Fragen kamen hinzu, als etwa Patente des bekannten Erfinders Nikola Tesla die Verwendung des Drehstroms verhinderten.
Zweifelhafte Geschäftsmethoden und Patente
Dass sich schließlich der Wechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hertz in Europa durchsetzen konnte, geht unter anderem auf den Gründer des Elektrokonzerne AEG, Werner Siemens, zurück. Denn in einer Veröffentlichung gab das Unternehmen im Jahr 1901 bekannt, dass seine Drehstromanlagen mit 100 Wechseln in der Sekunde arbeiten. 100 Wechsel bzw. Nulldurchgänge pro Sekunde entsprechen aber einer Stromfrequenz von genau 50 Hertz. Richtig ist allerdings auch, dass 50 Hertz bereits zuvor für kommerzielle Wechselstromerzeuger üblich waren.
Auch legten die Techniker die ersten mit Wechselstrom arbeitenden Kraftwerke auf 50 Hertz aus, was auch für sämtliche Installationen der Berliner Elektricitätswerke (BEW) galt. So setzte sich allmählich in Deutschland ein Standard durch, denn ein Zusammenschalten von Energienetzen konnte in der damaligen Zeit nur bei gleichen Frequenzen erfolgen oder unter Zuhilfenahme von Umformern. Die Vereinheitlichung sollte aber noch Jahrzehnte lang dauern.
Denn um das Jahr 1946 nutzte man in Europa außer den vorherrschenden 50 Hertz noch andere Frequenzen. Malta verwendete stattliche 100 Hertz, in einigen Regionen von Italien galten 45 Hertz, in anderen nur 42, wie auch in Portugal, Rumänien, Ungarn und der Tschechoslowakei. Sogar das Industrieland England arbeitete teilweise mit 40 – wie die Schweiz und Belgien – oder 25 Hertz, wie auch Schweden und Frankreich. Sogar in Deutschland gab es zu dieser Zeit noch Systeme mit dem bescheidenen Minimalwert.
Die Entwicklung in den USA
Für die USA sind die Gründe für die 60 Hertz-Norm jedoch besser belegt. Die Frequenz stellt einen Kompromiss dar zwischen den Großmaschinen und den Bedingungen für die elektrische Beleuchtung. Letztere brauchen hohe Frequenzen, damit Bogenlampen störungsfrei funktionieren. Die Industrie benötigte hingegen vor allem sehr niedrige Frequenzen.
Zwar konnten sich sowohl der amerikanische Standard und auch der europäische weltweit verbreiten, schließlich durchsetzen konnte sich jedoch keiner von beiden. Der arabische Raum, etwa Saudi-Arabien, nutzt 60 Hertz, in den benachbarten Golfanrainerstaaten, also in den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Katar, sind die europäischen 50 Hertz üblich. Die japanischen Besonderheiten wurden bereits erwähnt, ihren Ursprung hat dieses Phänomen wohl in der Tatsache, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die elektrische Grundausstattung in den Landesteilen jeweils von Herstellern aus verschiedenen Nationen geliefert wurde. Insgesamt aber haben die in Europa üblichen 50 Hertz weltweit die größte Verbreitung.
Die Netzspannung in den USA und Europa
In Amerika galten schon recht früh 110 Volt als Standard für die Stromspannung. Wesentlicher Grund war die Kohlefaden-Glühlampe des Erfinders Thomas Alva Edison. Am 27.1.1880 erhielt er das Patent für seine „Electric Lamp“ und konnte nun die Elektrifizierung New Yorks vorantreiben. Die Lampe war für 100 Volt ausgelegt. Um über eine Reserve für Spannungsverluste zu verfügen, legte man die Netzspannung auf 110 Volt fest.
Die Europäer waren weniger kleinlich und definierten 220 Volt für die Spannung als Norm, um Verluste auszugleichen. Besonders in ländlichen Regionen gab es aber noch in den 60er Jahren einzelne 110 Volt-Netze. Mit der zunehmenden Verdrängung des Gleichstroms kam es zu Systemkonvergenzen, und ein Sollwert von 220 bis 240 Volt setzte sich schließlich durch.
Die Elektrifizierung außerhalb der westlichen Welt
Während man hierzulande bereits die Normen vereinheitlicht, sind weite Teile der Welt noch nicht einmal mit den Vorteilen der Elektrizität in Berührung gekommen. Die Internationale Energie-Agentur (IEA) vermutet, dass weltweit etwa 1,4 Milliarden Menschen keinen Zugang zu elektrischem Strom haben. In Afrika südlich der Sahara geht man von 589 Millionen Menschen aus, für Asien von 930 Millionen, die ohne Stromversorgung sind. Weil die Elektrifizierung in diesen Ländern nur langsam vorankommt, werden die Zahlen nur langsam zurückgehen.
Der schleppende Ausbau hat als eine Ursache auch den mangelnden Bedarf, denn außer durch Beleuchtung, Mobiltelefone und Radio entsteht in diesen Gebieten keine Nachfrage. Außerdem verhindert der Kapitalmangel den weiteren Ausbau der Netze. Somit hält sich das Interesse an einem nationalen Stromnetz sowohl bei Investoren als auch bei den verantwortlichen Politikern in Grenzen. In vielen afrikanischen Ländern haben deshalb nur 20 Prozent der Landbevölkerung Zugang zu einer elektrischen Versorgung.
Fortschritte in Europa bei der Vereinheitlichung
Zumindest in Europa wird die Normierung gegenwärtig aber in die Realität umgesetzt. Seit 1987 gleichen die Betreiber die Spannung allmählich auf den neuen Standard an, der 230 Volt beträgt. Vorher galten etwa in Deutschland die bekannten 220 Volt als Norm. Heute findet man keine Produkte mehr, die für diesen Standard ausgelegt sind.
Toleranz für Altgeräte
Aber auch ältere Elektrogeräte funktionieren nach wie vor. Der Nutzer muss nicht befürchten, dass sie wegen der höheren Spannung durchschmoren. Denn die Techniker konnten Toleranzen einarbeiten, die Überhitzungen vermeiden. Zunächst konnte die Spannung um sechs Prozent höher ausfallen als die Norm von 230 Volt, und zehn Prozent weniger betragen. Seit 2003 gelten Toleranzgrenzen von 10 Prozent sowohl oberhalb als auch unterhalb des Richtwerts.
In den USA aber beträgt die Stromspannung noch immer 110 bis 120 Volt. Nur Großgeräte wie beispielsweise eine Waschmaschine laufen mit höheren Spannungen. Auch die Frequenzen sind nach wie vor unterschiedlich, in Europa gelten 50 Hertz, in Amerika sind es 60 Hertz.
Die Industrie produziert heute für einen weltweiten Markt. Da sind landesspezifische Besonderheiten ein Hindernis, aber in technischen Fragen ließen sich schnell Lösungen finden. In Elektrogeräten wird deshalb bereits ab Werk ein Transformator verbaut, der die Unterschiede ausgleicht. So lassen sich die Geräte in unterschiedlichen Stromnetzen betreiben. Der Kunde sollte beim Kauf aber vorsichtshalber ausreichende Erkundigungen einziehen, dass ein fremdländisches Erzeugnis auch auf dem heimischen Markt funktioniert.
Autor: Reiner